• Redner Festakt © Karl Schöndorfer

Festrede zur Eröffnung des Theaters an der Wien von Dr.in Haide Tenner

In der Musik- und Theatergeschichte hat es immer wieder Entwicklungen oder sogar Weichenstellungen gegeben, die ein Resultat von Zufälligkeiten waren. Auch die Existenz des Theaters an der Wien verdanken wir bei genauerem Hinsehen wohl dem Umstand, dass Maria Magdalena Arth, verehelichte Eleonore Schikaneder ihren Mann wegen seiner ständigen Untreue verlässt. Sie geht eine Liebschaft und Partnerschaft mit Johann Friedel ein, ebenfalls in Schikaneders Preßburger Theatergruppe tätig, gründet mit ihm eine eigene Schauspieltruppe und leitet bald mit ihm gemeinsam das Freihaustheater in Wien, dessen erster Prinzipal bankrottgegangen war. Leider stirbt ihr neuer Mann sehr bald an Schwindsucht, und da sie das Haus als Frau alleine nicht führen darf, erinnert sie sich an ihren Exmann. Schikaneder folgt dem Ruf nach Wien und wird durch die Uraufführung der Zauberflöte weltberühmt werden.

 

Als das Theater wegen Brandgefahr geschlossen werden muss, verschafft sich Schikaneder vom Kaiser ein neues Privileg, und baut auf der anderen Seite des Wienflusses in nur 14 Monaten das Theater an der Wien. Finanziert wird das von einem reichen Kaufmann, seinem Logenbruder mit dem an Nestroy erinnernden Namen Bartholomäus Zitterbarth. Es wäre nicht Wien, wenn nicht wieder jemand dagegen wäre, nämlich der Direktor der k.k. Hoftheater, Freiherr von Braun. Er erhebt auf dem Gerichtsweg Einspruch gegen ein neues Theater – und scheitert.

 

So beginnt 1801 die Geschichte dieses Hauses, das bis zur Übernahme durch die Stadt Wien 1960 immer ein Privattheater war, in dem alle Sparten der darstellenden Kunst für alle sozialen Schichten geboten wurden und in dem 100e Uraufführungen stattfanden. (Beethoven, Schubert, Grillparzer, Kleist, Raimund, Nestroy, Lortzing, Anzengruber, Strauß, Lehar u.u.u).

 

Die Theaterwissenschaft ist sich einig, dass die Wiener Theater Erfolg und Qualität der spannungsreichen Wechselbeziehung und gegenseitigen Beeinflussung der zahlreichen Häuser verdanken, aber auch dem Wettbewerb mit einem sich kräftig entfaltenden Volkstheater. Das ist im gesamten europäischen Theater einzigartig. Wettbewerb fördert die Qualität, ist aber kostspielig. Schon nach 3 Jahren muss Zitterbarth das Haus verkaufen – noch dazu an den ärgsten Konkurrenten, den schon erwähnten Leiter beider Hoftheater. Begehrlichkeiten anderer Operndirektoren, sich das Haus als weitere Spielstätte einzuverleiben, gab es also schon lange vor dem 21. Jhdt., begonnen hat damit Peter Freiherr von Braun.  Laut Zeitungsbericht waren weder das Publikum noch die Künstler damit glücklich, weil „nun aller Wetteifer aufhört“. Braun verließ übrigens schon nach zwei Jahren wegen finanzieller Schwierigkeiten das Haus.

 

Im Wettstreit um die Gunst des Publikums wurden große Künstler an ein Haus gebunden. „Composer in Residenz“ Beethoven bekommt im Theater an der Wien Quartier, den Auftrag, eine Oper zu schreiben, ein „ansehnliches Gehalt“ und die Möglichkeit, Konzerte mit seinen Werken zu dirigieren. Nicht immer allerdings sind seine Bemühungen von Erfolg gekrönt. Die Allgemeine musikalische Zeitung schreibt bei der Aufführung der Eroica im Theater an der Wien:

 

 „Die Symphonie würde unendlich gewinnen, wenn sich Beethoven entschließen würde, sie abzukürzen und in das Ganze mehr Licht, Klarheit und Einheit zu bringen“.

 

Sogenannte falsche Urteile von damals sollten uns allerdings nicht überraschen, denn es gibt nur selten große Kunst, die in ihrer Komplexität zu Beginn nicht Widerspruch erregt. Widerspruch und Ablehnung sind wesentliche Bestandteile einer notwendigen Auseinandersetzung mit Kunst. Wie viele sogenannte Fehlurteile hat es gegeben, die wir heute aus unserer bequemen Position der Rückschau und im Wissen, was im Kanon der Klassik Bestand hatte, belächeln.

 

Was man in den alten Kritiken über Opernproduktionen fast nicht findet ist die Beurteilung des Orchesters. Kein Wunder, gab es doch selbst für Uraufführungen zwar Proben mit den Sängern und dem Chor, aber oft nur 2 Orchesterproben. Präzision war damals kein Qualitätskriterium.  Es muss im Orchestergraben fallweise drunter und drüber gegangen sein.  Geholfen hat man sich durch ein Tafelklavier im Orchestergraben, von dem aus dirigiert wurde und das beim Auseinanderdriften der Musiker einige Akkorde mitspielte, bis alle wieder zusammen waren. Dieses Klavier gab es hier im Theater an der Wien sogar länger als in den anderen Wiener Theatern, nämlich bis 1831.

 

 

 

 

Zum Thema Orchester ein persönlicher Einschub:

 

Als Leiterin des RSO habe ich mich sehr darum bemüht, dieses Orchester ab 2007 als fixes Opernorchester neben dem Orchester der Stadt Wien, den fabelhaften Wiener Symphonikern im Theater an der Wien zu etablieren – auch ohne Tafelklavier. Weil jedes Orchester durch die geforderte Flexibilität beim Spielen von Opern besser wird, was sich schon beim Klangbogen bewiesen hatte, und weil ich dieses Haus liebe. Wunderbare Produktionen habe ich dann hier intensiv und hautnah miterlebt. Ich bin glücklich und sehr dankbar, dass das damals gelungen ist und hoffe, dass das RSO – nicht nur hier - noch eine lange Zukunft hat.

 

Die Chorfantasie, die heute erklingt, ist von Beethoven geschrieben für eine Akademie, einen mehrstündigen Konzertabend, der bei Eiseskälte hier im Haus im Dezember 1808 stattfand. Es gab wenige Proben, Beethoven hat den Beginn am Klavier improvisiert, auch weil das Stück nicht fertig war. Die Musiker waren bald auseinander, Beethoven hat abgebrochen und gerufen „noch einmal“. Das Publikum hat gelacht…

 

Wie auch immer - Beethovens Musik, die vielen UA seiner Werke, haben diesem Haus wie ich finde, eine besondere Aura verliehen. Und da sich der Zuschauerraum nicht gravierend verändert hat, spüren wir diesen genius loci noch immer.

 

Die Aura des Hauses: Ein Raum wie dieser ist ein wesentliches Element des Theatererlebnisses. Der Raum, in dem wir gemeinsam etwas erleben, den wir gemeinsam „beatmen“ ist ja das einzig Beständige und Greifbare. Denn die Musik und die darstellende Kunst sind flüchtige Künste, unwiederholbare, einmalige Augenblicke – sicher der schönste Ausdruck von Vergänglichkeit.

 

Die Geschichte dieses Hauses ist auch eine Geschichte der Renovierungen. Jeder neue Impresario wollte vor allem die Bühnentechnik seinen Bedürfnissen, seinem Programm anpassen. Und so war dieses Theater bühnentechnisch immer das fortschrittlichste Theater Wiens.

 

Heute ist es wieder soweit. „Im Geiste Mozarts“ heißt es, soll dieses Haus mit einem konzertanten Idomeneo wiedereröffnet werden. Mit jener Oper also, die Mozart als seine beste bezeichnete.  Ein Antikriegsstück mit dem Sieg der Liebe. Zum Geiste Mozarts gehört aber auch die Doppelbödigkeit seiner Opern. Vom musikalischen Subtext bis zur Charakterisierung der Personen. Ein schwarz-weiß, ein klares Gut und Böse gibt es bei ihm nicht mehr. Mozart – ein Kind der Aufklärung. Es gibt keine eindeutigen Figuren, alle tragen das ganze Spektrum des menschlichen Charakters in sich. Sind echte Menschen mit echten Gefühlen, die Empathie im Publikum erzeugen. Die emotionale Berührung der Zuhörenden- auch das ist „im Geiste Mozarts“.

 

Was auch immer die Wirkung von Theater, Musik und insbesondere von Musiktheater auf Menschen ist: Entspannung oder Aufregung, Harmonie, Unruhe, Erholung, Anspannung, immer ist es die Emotion, die das Publikum erleben will. Theater war aber auch ein Fluchtort aus einer Realität, die von Katastrophen, Typhus- und Choleraepidemien, Börsenkrach, Armut und von schwierigen politischen Umständen geprägt war. Selbst die strenge Zensur der Ära Metternich konnte die Kunst in Wien nicht umbringen – ganz im Gegenteil. Um die Unerträglichkeit des politischen Druckes auszuhalten, flüchteten die Menschen in Zauberwelten. Das Publikum aller sozialen Schichten suchte im Theater „das höhere Leben“, wie sich das nannte. Wahrscheinlich spielt auch heute bei manchen von uns neben dem Wunsch nach emotionaler Berührung und geistiger Auseinandersetzung der Fluchtgedanke wieder eine Rolle.

 

 Bereits am ersten Tag nach Ausbruch der Revolution 1848 wird die Zensur aufgehoben. Die Allgemeine Theater-Zeitung schreibt am 20. April 1848: „Unter den kräftigen Mitteln zur Belehrung und Bildung des Volkes stehen die Theater gewiss in erster Linie. Um wieviel mehr sind sie gerade jetzt von Wichtigkeit, wo von der Belehrung und Bildung des Volkes das Heil unserer ganzen Zukunft abhängt.“ 

 

1848!  Und heute?

 

In vielen Lehrplänen spielt die Kunst und speziell die Musik fast keine Rolle mehr.  Über die dadurch entstehenden Defizite bei den Menschen herrscht unter Fachleuten Einigkeit, Folgen hat das keine. Der für dieses Haus so wichtige Nikolaus Harnoncourt hat immer wieder – auch in den vielen Gesprächen, die ich mit ihm geführt habe - Blaise Pascal zitiert mit seiner „Raison du coeur“, dem „Denken des Herzens“. Die unverzichtbare Ergänzung der reinen Vernunft. Die Musik ist ein Schlüssel dazu, geben wir ihr doch eine Chance!

Niemand behauptet, dass die Oper die Welt retten kann, aber Theater in jeder Form zwingt zum Zuhören. Und Zuhören können ist die Voraussetzung für ein halbwegs friedliches Miteinander und letztlich auch für die Demokratie. Unsicherheiten haben zu allen Zeiten starre Meinungen provoziert. Differenzierte Auseinandersetzungen werden weniger, die Sprache wird plakativer. Wie wichtig ist da die Kunst, die dem Vieldeutigen Raum gibt, Fragen stellt, Zweifel aufwirft. Lassen wir uns die Freiheit der Kunst von niemandem nehmen!

 

 

 

 

Noch einmal kurz zurück ins 19. Jhdt.:

 

Zwei Frauen spielen nach Eleonore Schikaneder in der Geschichte des Theaters an der Wien eine große Rolle: Zunächst die Schauspielerin Marie Geistinger. Durch sie kommt Johann Strauß zur Operette. “ Indigo und die 40 Räuber“ ist sein erstes Bühnenwerk. Eduard Hanslick, der gefürchtete Kritiker der Neuen Freien Presse bezweifelt das dramatische Talent von Strauß und findet das Textbuch grässlich.

 

Fast alle Operetten von Strauß werden hier uraufgeführt, das Theater an der Wien wird das führende Operettentheater Wiens und bleibt es bis 1937.

 

In den 1880er Jahren lenkt noch einmal eine Frau die Geschicke des Hauses, die Schauspielerin Alexandrine von Schönerer, von der es in der satirischen Zeitung KIKERIKI heißt, sie hätte „einen scharfen Ton“ gehabt.  Auch das kommt uns heute bekannt vor. In ihrer Zeit findet unter anderem die deutschsprachige Erstaufführung von Puccinis „Bohème“ statt. Dazu schreibt Eduard Hanslick: „Die Musik spielt in dieser Oper eigentlich eine sekundäre Rolle, mag sie an einzelnen Stellen auch noch so anspruchsvoll und lärmend vordrängen…. Im Ganzen ist die melodiöse Erfindung äußerst gering“.

 

Ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Hauses soll nicht unerwähnt bleiben: Direktor Arthur Hellmer, der 1936 aus Deutschland nach Wien kam, übernahm als Pächter und Direktor das Haus und bezahlte alle Schulden. 1938 musste er emigrieren. Fünf Tage nach dem sogenannten Anschluss, nachdem viele Komponisten, Autoren, Schauspieler bereits geflohen waren, ließen Bühnenarbeiter ihren Direktor vor dem Bühneneingang in der Lehargasse mit einer Zahnbürste ihre Schuhe reinigen. Er überlebte und wurde nach dem Krieg Intendant des Hamburger Schauspielhauses.

 

1940 kauft die nationalsozialistisch regierte Stadt Wien das Theater an der Wien den letzten Privatbesitzern Hubert und Lilian Marischka ab, muss es aber nach einem Rückstellungsverfahren zurückgeben. 

 

Die jüngere Geschichte des Theaters ist uns allen vertraut.

 

In der mehr als 200jährigen Geschichte des Theaters an der Wien gab es immer wieder Menschen mit unterschiedlichsten Visionen, mit Fantasie und Mut. Menschen, die auch ein Risiko eingingen. Ob mit literarischen Meisterwerken oder Kinderballetten, mit wesentlichen Opernuraufführungen oder mit Spektakeln, bei denen so viele Menschen und Tiere auf der Bühne waren, dass das Haus nach hinten zur Straße hin geöffnet werden musste, mit Operetten, Nestroystücken oder Konzerten. Die Musik- und Theatergeschichte nicht nur dieser Stadt wäre ärmer ohne das Theater an der Wien. Natürlich waren nicht immer alle mit den realisierten Visionen einverstanden. Auch 2006 nicht bei der Umstellung zu einem Opernhaus.  „Wien braucht kein drittes Opernhaus“ hieß es da vielfach. Und jetzt sind wir glücklich über die vielen wunderbaren Produktionen, die wir in den letzten Jahren hier gesehen und gehört haben.

 

Ich wünsche mir, dass die Kraft derer, die Visionen haben, in unserem Land immer stärker sein möge, als alle Einwände der Verhinderer, Skeptiker und Kleingläubigen.

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